Reisen bildet, sagt man. Reisen macht Spaß und kann noch mehr; es kann ganze Biografien verändern. Ich, Katrin Walter, kenne gleich mehrere Personen, bei denen die Berührung mit Italien – und auch gerade mit Rom – wichtige Entscheidungen ausgelöst haben. Sie gaben ihrem Leben anschließend eine neue Richtung. Von einer dieser Geschichten zeugt das folgende Interview, das ich (KW) mit Anja Pauseback (AP) führte, und das eine unglaubliche Verquickung zufälliger Begegnungen und eine überraschende Pointe bereithält. Viel Spaß beim Lesen!
Katrin Walter: Wie bist du zur Kunst gekommen, Anja?
Anja Pauseback: Das Malen hat mich schon immer interessiert und ich habe von Kindheit an gemalt, gezeichnet und fotografiert. Nur wurde dieses Tun nicht als Kunst anerkannt, stattdessen förderten mich meine Eltern eher im musikalischen Bereich mit Unterricht zum Beispiel in Flöte, Orgel und Xylofon. Doch Kunst sollte immer nur ein Hobby sein. So brauchte ich eine ganze Weile, um zu erkennen, dass es das Malen ist, was ich auch beruflich machen möchte.
KW: Ein echter Künstler zu sein, ist ja eine Lebenseinstellung, wobei eben viele die Kunst oder das Malen eher als Therapie betrachten?
AP: Bei mir war das lange Zeit ein Konflikt, denn für mich ist das Malen kein Mittel zum Zweck, mit dem ich irgendein anderes Ziel zu erreichen suche oder gar mich zu therapieren. Ich habe immer gemalt und war mit einfachen Mitteln kreativ und das gab mir in weniger erfreulichen Zeiten Erleichterung und Freude aber ich verstand damals noch nicht, dass die Kunst die Lösung meiner Probleme war oder ich hatte nicht den Mut, es mir einzugestehen und eine radikale Änderung zu vollziehen.
Ich bin Künstlerin aus tiefstem Herzen und dies war es, was ich mit den Jahren erkannt hatte. Meine „Therapie“ – wenn überhaupt – waren die Erfahrungen an „normalen“ aber für mich ungeeigneten Arbeitsplätzen, das Sein in und Verbringen von Momenten, die sich für mich nicht gut anfühlten und sehr unbehaglich waren. Ich fühlte mich vorher in einem Leben ohne Sinn und umgeben von Dingen, die mir unendlich viel Kraft raubten. Heute, hingegen, bin ich glücklich.
KW: Wie kam es dazu, dass du an einem gewissen Punkt doch die Wende geschafft hast
AP: Das Ende dieser Situation begann an einem Tag im Jahr 1990, als ich am Büro einer Mitfahrzentrale vorbeikam und von einem Mitfahrangebot nach Rom las. Ich erwartete damals nicht mehr viel vom Leben aber ich wollte wenigstens einmal Rom sehen. Drei Tage später saß ich in dem Auto und fuhr gen Süden. Als ich in der italienischen Hauptstadt ankam, war ich völlig fertig und müde aber ich fühlte mich unendlich glücklich, als ich die Glocken der Kirchen von Rom hörte. Ich war „betrunken“ von der Lebendigkeit dieser Stadt und tief berührt von der Schönheit der Architektur.
Wieder zu Hause angekommen war ich erfüllt mit unendlich vielen neuen und umwerfenden Eindrücken und mit der Erfahrung, dass ich völlig allein diese lange Reise in das Unbekannte gewagt und geschafft hatte. So erreichte ich 1991 den Punkt, an dem ich – endlich sicher meines Selbst – begann, meine Überzeugungen zu leben und bin losgezogen und habe mir Leinwände und Farben gekauft.
KW: Praktisch hat Rom dein Schicksal beeinflusst.
AP: Genau. Ich bin später noch einige Male zurückgekehrt und auch meine Hochzeitsreise führten meinen Mann und mich nach Rom. Die sechste Reise im Jahre 2012 war dann noch einmal etwas ganz Besonderes, denn ich konnte die erste Ausstellung meiner Bilder in der Stadt, die mein Leben so stark verändert hat, eröffnen. Dafür schuf ich extra einen ganzen Zyklus neuer Bilder.
Ich denke auch heute immer gern an Rom. Ich liebe Rom. Wenn ich in Rom bin, reicht die Zeit nie, um all das zu tun, was es wert ist, zu tun. Es gibt so viel zu entdecken und es gibt sicher viel zu sehen, von dem ich noch nicht einmal weiß, dass es existiert.
KW: Du sprachst von dem Zyklus, den du extra für Rom geschaffen hattest. Worin bestand er genau und was haben die Besucher deiner Ausstellung in Rom damals bewundern können?
AP: Es gab 14 Werke von mir zu sehen, die ich extra für diese Ausstellung geschaffen hatte. Für ihre Kreation setzte ich mich sehr lange mit der Stadt von heute und mit ihrer Geschichte auseinander. Daraus entstand mein Zyklus „Transparenz und Schichtungen“. Einerseits repräsentiert er meine heutige Art zu arbeiten mit Acrylfarben, Kohle, Bleistift, Pigmenten und manches Mal auch Öl auf Holzkörper, denn dieses Arbeiten kommt einem „Aufschichten“ gleich. Auch der Holzkörper selbst besteht aus dünnen Schichten von Holzfasern. Meine Werke entstehen ebenfalls in Schichten, die mehr oder weniger deckend sind und noch eine gewisse Sicht auf das „Darunter“ erlauben, eben durch Transparenz.
Einige Impressionen der Vernissage (folgende vier Fotos von Bettina Roeder):
KW: Der Titel der Ausstellung „Stratificazioni nel tempo e nello spazio“ (Schichtungen in Raum und Zeit) bezieht sich also sowohl auf deine Arbeitstechnik als auch auf den Inhalt?
AP: Richtig. Ich beschäftigte mich immer vor meinen Arbeiten oder bevor ich etwas kreiere für lange Zeit mit der Theorie und dem Wesen des Objektes oder Sujets, das ich angehen will. Ich stelle Recherchen an und informiere mich ausgiebig und lese über das Thema. Was den Zyklus über Rom betrifft, ist mir aufgefallen, dass die allmähliche politische, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung auch als ein Modell aus Schichten gesehen werden kann. Aus einem Ding, einer Sache entwickelt sich etwas anderes, eine Abfolge von Aktionen, Reaktionen, Transformationen und gedanklichen Prozessen. Die Ergebnisse jeden Tuns, jedes Prozesses, jeder Empfindung oder Erinnerung überlagern sich Schicht um Schicht, die wiederum mehr oder weniger Patina aufweisen kann.
Betrachtet man Rom unter architektonischer Sicht, so ist diese Stadt ebenfalls ein Schichtmodell. Die Vergangenheit und die mit ihr verbundenen Ereignisse mit allen Erfahrungen und Fakten sind eng verknüpft mit dem heutigen Aussehen der Stadt. Die Erklärung und Legimitation des Heute ist der Erbe und Vermächtnis des Vergangenen. Oder anders betrachtet: Das Vergangene prägt auch das Gesicht und Erleben der Stadt von heute und, in der Konsequenz, auch die Stadt der Zukunft. Genau das stellen meine Bilder dar und sind gedacht als eine Einladung zu einem differenzierten Blick auf die Dinge.
KW: Die Besucher in Rom und ich selbst waren sehr beeindruckt von deinem Weg und den Bildern. Dabei fällt auf, dass du dich – nicht nur im Rom-Zyklus – stark mit gesellschaftlichen Themen beschäftigst, so auch mit dem Mauerfall in Berlin im Jahre 1989.
AP: Sicherlich, als deutsche Künstlerin setze ich mich natürlich auch mit der Gesellschaft in Deutschland auseinander. Zum Beispiel in meinem Bild „Familienzusammenführung“. Dort erzähle ich auf ganz spezielle Weise von einer Vereinigung, der die ganze Welt beiwohnte und – unschwer zu erraten – handelt es sich um die Zusammenführung des westlichen und östlichen Deutschlands und um den Fall der Berliner Mauer. Meine Interpretation ist auf historischer Unterlage verewigt, auf echtem Dokumentenpapier aus der ehemaligen DDR. Es wurde mir von einem Künstler geschenkt während eines Besuchs der „KulturKunststatt Prora“ auf Rügen, die sich dort nach der Wende gebildet hatte. Das Papier faszinierte mich von Anfang an wegen seiner besonderen, seidigen Oberfläche und aus diesem Grund habe ich es auch zum Großteil frei und sichtbar belassen. So ist das Grün, das man sieht, das pure Papier.
KW: Und kannst du für den eher unbedarften Betrachter noch die einzelnen Elemente erläutern?
AP: Natürlich, gern. Das große Zebra symbolisiert den Westen, die alte BRD. Es schaut auf das kleine Auto, den Trabant (das legendäre Fahrzeug aus dem Osten Deutschlands, das fast das Symbol seines Verschwindens geworden ist). Der Trabant, der aus dem Osten kommend Richtung Westen fährt, trägt ebenfalls ein Zebramuster. Die beiden erkennen sich, da sie die gleiche Musterung besitzen, trotz der augenscheinlichen Verschiedenheit. Vorne sitzt ein Hasenpaar, als Allegorie für das Steuern eines ganzen Volkes in die „Auferstehung“, von dem ein Vertreter im Fond des Autos sitzt und sich bereitwillig führen lässt.
Im Hintergrund des Bildes sieht man einen Grenzposten, der nur zur Hälfte dargestellt ist und so die Teilung Deutschlands bis 1989 darstellt.
Der Kontrast von Schwarz und Weiss entspricht dem Kontrast zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland im Moment des Mauerfalls in Berlin. Aus diesem Grund ist mir der Gedanke gekommen, dieses Ereignis mit dem Motiv des Zebras darzustellen. Die „Familienzusammenführung“ zwischen Ost und West besteht darüber hinaus noch in einer weiteren Dimension: dem echten Dokumentenpapier aus der ehemaligen DDR als Malgrund aus dem Osten und der Ort, aus dem die Künstlerin stammt und das Werk geschaffen hat, dem Westen.
KW: Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, sondern sie hat noch eine überraschende Pointe, richtig?
AP: Richtig, denn das Werk ist heute im Besitz einer Berlinerin aus dem ehemaligen Ostberlin, die heute in Italien wohnt, also dem Land, dessen Hauptstadt mich so beeindruckt hatte, dass ich erst professionell zu Malen begann – also meine ganz persönliche Wende. Für die heutige Besitzerin war hingegen der Mauerfall, den ich in dem Bild dargestellt habe, die Wende. So stellt das Bild ein Stück ihrer eigenen Geschichte dar, die sie 1989, als die Mauer fiel, in ihrer Heimatstadt hautnah und mit großer Emotion miterlebte.
Es passiert sehr selten, dass man einen Menschen so glücklich machen kann. Das sind dann die Momente, die mir Kraft spenden und Recht geben, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe.
KW: Das ist eine wirklich bewegende Geschichte, aber dein Stil ist normalerweise weniger figurativ …
AP: Ja, ich bin vom deutschen Informel stark beeinflusst und auch die Ideen des Surrealismus gefallen mir sehr. Es wurde mit bescheinigt, dass einige meiner Arbeiten als rein Informel angesehen werden können und teilweise an Arbeiten von Bernard Schultze erinnern oder den frühen Heinz Kreutz bzw. an seine späten Arbeiten in Pastell und Öl. Ich habe mich jedoch nie selbst mit anderen und vor allem nicht mit diesen Künstlern verglichen. Auch nehme ich mir nicht vor, heute informel und morgen surrealistisch zu malen; das entwickelt sich aus mir heraus und hängt auch vom Thema ab, das ich umsetzen möchte und meinem persönlichen Zugang zum Thema und der Stimmung, in der ich mich gerade befinde. Ich laufe keinem Stil hinterher oder imitiere etwas oder jemanden, sondern experimentiere und suche bei jedem neuen Thema nach einer passenden Umsetzung. Im Großen und Ganzen kann man jedoch sagen, dass ich in jedem Fall eine abstrakte Malerei bin mit einer starken Tendenz zum Informel und zum Surrealismus.
KW: Was sagen deine Eltern und deine Familie denn heute zu deinem Beruf? Haben sie verstanden, dass du deine Berufung gefunden hast?
AP: Ja. Von meinen Eltern und meinen Mann werde ich heute sehr unterstützt und bekomme jede Menge Bestätigung. Sie sehen, dass ich meine Berufung gefunden, und damit auch Erfolg habe und glücklich bin und das wünschen sich ja die Eltern und der Partner. Auch werde ich immer wieder von Außenstehenden und den Teilnehmern meiner Malkurse auf meine Arbeit angesprochen, die stets als positiv wahrgenommen wird.
KW: Hängt bei deinen Eltern heute auch eine Pauseback im Wohnzimmer?
AP: Ja, nicht nur eine! Im Esszimmer hängt unter anderem ein Bild aus meiner Anfangsphase in gelb- und rosafarbenen Tönen. Der „Elternfavorit“ ist in zartem Blau gehalten mit Grafit und Weiß und hängt im Kaminzimmer; er kommt in seinem breiten und matt silbernen Holzrahmen wunderbar frisch und luftig zur Geltung und ist bei allen Besuchern ein absolutes Highlight.
Katrin Walter: Danke für dieses interessante Gespräch und den Einblick in dein Leben. Viel Erfolg weiterhin mit deinen Werken und bei den Kursen für Kinder und Erwachsene, in denen du auch anderen hilfst, ihre künstlerische Ader zu entdecken oder einen erholsamen Ausgleich zum Beruf zu finden.
Anja Pauseback: Ich danke dir. Ja genau, die Kurse und das Arbeiten mit Menschen und vor allem mit Kindern liegt mir sehr am Herzen und machen mir genauso viel Spaß, wie das Malen selbst.
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Zum Projekt „Rom – Schichtungen in Raum und Zeit“ (PDF)
Wie es zur Begegnung von Anja und Katrin kam, kannst du im Artikel „Von fallenden Mauern, bewegenden Bildern und der Sehnsucht nach Italien“ lesen.
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[…] und wer genau wissen will, was die einzelnen Symbole bedeuten, liest am besten das Interview von mir mit Anja Pauseback. Ich habe Anja zu ihrer ersten Ausstellung in Rom im Mai 2012 interviewt. Es erschien bisher jedoch […]