Es ist die Geschichte eines Mannes, der mit 53 Jahren sein Leben komplett umkrempelte und ganz neu begann, um dem einst berühmten Cannaiola di Marta wieder Leben einzuhauchen und der Gegend einen respektablen Wein zurückzugeben: Der Wein von hier, dem kleinen Ort Marta am Lago di Bolsena, der Cannaiola di Marta ist dank Antonio Castelli nun wieder erhältlich.
„… sieh dort den Erblaßten … deß Arme die heil’ge Kirch’ umfaßten … er war von Tours und büßt hier manchen Schmaus von im Vernacciawein ersäuftem Aal mit schwerem Fasten“, so schrieb Dante Alighieri in seiner Göttlichen Komödie über den verblichenen Papst Martin IV., ehemals Simon de Brion aus Tours. Der Heißhunger des letzten in Viterbo gewählten Pontifex auf die fetten Aale aus dem Bolsena-See in Vernaccia, ließen die Amtszeit, die erst 1281 begann, im Jahre 1285 je enden.
Diese Gegend Italiens war für das Kirchenpersonal, wie Päpste und Bischöfe wohl ein gefährliches Pflaster, denn auch vom Bischof Fugger sind die Hingabe zum Wein Est!Est!!Est!!! und seine Folgen gut bekannt. So wie der Wein aus Montefiascone einst wohl eher ein Muskat war und darum auch ungeübten Gaumen sofort schmeichelte, so weiß man nur, dass der Wein, in dem die Aale für Martin IV. kochten, Vernaccia genannt wurde.
Das ist durchaus möglich, dass der uns heute vor allem aus San Giminigano als weißer und Serrapetrona als roter Wein bekannte Rebensaft, einmal auch dem Cannaiolo oder, in der Tuscia, der Cannaiola mit diesem Namen bedacht wurde, wie man einst den Vermentino in Ligurien auch Vernaccia nannte, was einfach soviel hieß wie “der Wein, der hier wächst” (von hier, einheimisch oder autochthon).
Legenden – Herren – Roter Wein
Der kleine Ort Marta in der Provinz Viterbo mit seinen 3.500 Einwohnern, liegt am südlichen Ufer des Bolsena-Sees. Und hier hat man sich die Geschichte von Papst Martin IV. zu Eigen gemacht. Acht Jahrhunderte nach den Erzählungen Dantes sind zwei Martani (Einwohner von Marta), die Cousins Antonio und Silvano Castelli das Abenteuer angegangen, den echten Cannaiola zu produzieren. Zwar fand sich kein Zeuge mehr aus dem Jahr 1285, als Martin IV. sich zu Tode fraß und trank, doch aus der Lage am See und der Tradition von Marta, die Aale zu fischen und den Cannaiola herzustellen, entstand die Legende der Aale in und mit Cannaiola.
Roter Wein soll damals dem gemeinen Volk verboten worden sein, er war nur den „Signori“ vorbehalten und so machte man ihn heimlich. Diese unwiderstehliche Anziehungskraft, jede Grenze zu überschreiten, hat sich bis heute in Italien hartnäckig gehalten und wird sogar an höchster Stelle vorgelebt. Wieso sollten es da die Untertanen anders halten? Und irgendwie fügt sich dann doch alles in ein für alle vermeintlich zum Vorteil gereichendes System: Damals ergab der heimlich angebaute Rote, der nach der Ernte schnell in Schuppen und Kellern zum Trocknen verschwand, dann gepresst und bis Weihnachten in einem Fass lagerte, ein Geschenk zum Fest für den Priester, den Doktor und alle, die man gnädig stimmen musste und wollte.
Der Mythos Cannaiola di Marta
Bis noch vor ein paar Jahrzehnten konnte man den Wein komplett der Natur überlassen, die kalten Wintermonate hielten die Gärung an und der Wein blieb leicht lieblich, als Kontrast zum Tannin und dem herben Abgang. Heute braucht es dazu Kältetechnik, denn die Winter sind mild geworden.
Antonio Castelli lässt seinen Canniola, der zu 85 % aus der gleichnamigen Rebsorte Cannaiola Nera besteht und zu 15% aus Vino Nobile di Montepulciano, von Oktober bis in den Juli des Folgejahres langsam im Tank ohne Zusatz von Hefen bei 5 bis 8 Grad Celsius gären. Kein Vergleich mit dem, was sonst als Cannaiola in Marta angeboten wird, von jedem, der vom Geschäft mit dem „Weihnachtswein“ profitieren will. Da findet man oft nur ein klebriges Etwas, in dem wahrscheinlich durch unerlaubte Zuckerzugabe der Säurestich überdeckt werden soll; Bauernrezepte, die sich jeglicher Kontrolle durch die DOC Colli Etruschi Viterbesi entziehen und sich theoretisch gar nicht so nennen dürften. Doch auf den großen Korbflaschen gibt es kein Etikett.
Bis in die 90er Jahre verschenkten auch die Castellis den Cannaiola ganz traditionell zum Heiligen Fest und machten dabei eine schlechte Figur, denn was sie zu kaufen fanden, hielt oft nicht einmal bis zum 25. Dezember durch und taugte auch nicht mehr als Salatdressing. Doch es gab diesen Mythos von einem Wein, der anfangs eine süße Fruchtigkeit vermittelte und dann mit Tannin und Struktur die Zunge bedachte, um in einem trockenen Finale den Gaumen frei für den nächsten Schluck zu spülen und der wunderbar zu gegrilltem Fisch aus dem Bolsena-See passte und eben auch gegrilltem Aal.
Die Suche nach dem echten Geschmack des Cannaiola di Marta
Antonio Castelli arbeitete sein Leben lang als Nachtportier im Hotel Therme Salus in Viterbo. 1996 kündigte er und beschloss mit seinen damals 53 Jahren, sich auf die Suche nach dem wahren Cannaiola di Marta zu machen. Es hatte ihn gepackt und sein Cousin Silvano war mit dabei, der die Arbeit auf dem Feld und im Weingarten gut kannte.
Sie sprachen mit den Alten, ließen sich Eindrücke und Eigenschaften des Weins erklären, der einst in Marta ein Mythos war. Studierten den Boden, suchten die Reben und dann ging es los. Erste Vinifizierungsversuche gingen schief, aber das gehörte zum Projekt. Sie brauchten einen Önologen, doch niemand der jungen Weinmacher kannte sich mit Cannaiola aus und einer kelterte ihnen fast einen „Maraschino“ (Kirschschnaps) zusammen. Die Suche ging weiter und man fand noch einen Alten mit 92 Jahren, der sich an den echten Geschmack erinnern konnte. Mit seiner Hilfe schufen sie den „Weihnachtswein“ aus Marta neu.
Belächelt vom halben Städtchen und den Cannaiola-Händlern, ohne Unterstützung der eigenen Familie, die nicht verstand, wie man in „seinem Alter“ noch einmal von Null beginnen kann, ging Tonino (Kosenamen für Antonio) unbeirrt seinen Weg. Wenn er „Cannaiola“ sagt, dann klingt das wie eine Liebeserklärung. Und hört man dem heute (2008) 65jährigen zu, bekommt man unweigerlich selbst eine Portion Mut mit auf den Weg.
Die Kraft der Leidenschaft
Ohne Unterlass erzählt Antonio von seinen Projekten und ist dabei immer gut gelaunt. Trotz der vielen Arbeit findet er immer auch Zeit für Freunde und zum Feiern. Auch seine kleine Stadt liegt ihm am Herzen. Immer mehr junge Leute verlassen diesen Ort. Aus dem historischen Zentrum sind fast alle Einwohner verschwunden und die Häuser sind an Sommerfrischler aus Rom verkauft. Um die Kultur der geliebten Heimat den Zugereisten und Gebliebenen zu vermitteln, stellte er sogar eine Theatergruppe auf die Beine, die auf einem Plateau, im Freien, mit Blick auf den herrlichen Bolsena-See ihre Stücke gaben. Tonino war der Präsident und Regisseur und brachte die Truppe über fünf Jahre voran, dann gaben seine „Schauspieler“ leider auf. Sie hatten nicht die gleiche Leidenschaft wie er und das Theater ruht zurzeit.
Dieser Mann scheint eine unerschöpfliche Kraft zu haben. Mit seiner Leidenschaft und seinem Cannaiola findet er immer neue Freunde und Bewunderer, auf Verkostungen, Messen und Veranstaltungen: Sein Wein wurde in Rom sogar von Jean-Claude Berrouet, dem Macher von Petrus, probiert und für gut befunden. Und mit den ersten 3.000 (im Jahre 2008) produzierten Flaschen der Castellis, hat Marta endlich wieder einen Wein, den man getrost zu Weihnachten verschenken kann.
Buon Natale!
Katrin Walter
simply walter
Nachtrag 2016
Dieser Artikel über den Cannaiola di Marta erschien zuerst 2008 im Online-Magazin Wein-Plus, ging jedoch dort im Zuge des Relaunches verloren. Die Geschichte ist einfach zu schön, um sie nicht noch einmal neu online zu stellen, hier bei mir, der Autorin.
Mittlerweile ist die ganze Famile Castelli in das Projekt involviert und Antonios Tochter, Debora Castelli, hat die Leitung des Weingust übernommen und sie haben heute sogar eine eigene Website.
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Alle Fotos von Katrin Walter